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Die Zeit – Gedicht

Die Zeit – Gedicht

Alles fließt, heißt es.

Doch warum verharrt das Gestern so reglos

Wie ein unscharfer Schnappschuss?

Warum hastet das Morgen fieberhaft

Seinem jähen Finale entgegen?

Warum stolpert das Heute so unbeholfen umher

Wie du selbst durch das Spiel des Lebens?

Nichts fließt, verstehst du;

Aufatmend.

 

© Heike Abidi

 

 

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Der Gockel und die Hühnerschar

Der Gockel und die Hühnerschar

Eine Tierfabel.

Eine Schar gesunder und glücklicher Hühner lebte mit ihrem Hahn froh und zufrieden auf einem Hof. Doch der Hahn war alt und wurde von Tag zu Tag schwächer, bis er eines Tages starb. „Wer soll uns beschützen?“, fragte eine Henne, und eine andere sorgte sich: „Wer wird uns die besten Happen abgeben, damit wir kräftig genug sind zum Eierlegen?“

Die Sorge der Hühner währte nicht lange, denn schon bald kam ein junger und stolzer Hahn durchs Hoftor marschiert, der so prächtig aussah, dass sie alle für einen Augenblick das Picken vergaßen. Der Gockel krähte laut und vernehmlich und schickte sich dann an, auf dem höchsten Punkt des Misthaufens zu residieren und das Kommando über die ganze Hühnerschar zu übernehmen.  (mehr …)

Happy Birthday to me

Happy Birthday to me

Keine Liebesgeschichte.

Wenn ich etwas hasse, dann ist es Fensterputzen. War es schon immer, selbst früher, in meinem anderen Leben. Dabei gab es wirklich Schlimmeres, ganz sachlich betrachtet: auf den Knien die Fliesen um die Toilette herum zu schrubben oder die dreckigen Socken der Kinder einzusammeln, zum Beispiel. Meine Güte, schließlich gibt es Dinge, die man einfach erledigen muß. Ganz leidenschaftslos, so wie Zähneputzen und Blumengießen.

Seltsam, aber ich weiß noch genau, wann ich zum letzten Mal die großen Panoramascheiben gewischt hatte – große, praktische Glasflächen. Es war heute vor fünf Jahren, an meinem vierzigsten Geburtstag. Nicht wegen des Geburtstages, sondern weil die Sonne so aufmunternd schien, weil es mal wieder bitternötig war, und weil ich vor der kleinen Feier mit unseren Freunden noch genug Zeit hatte.  (mehr …)

Konrads Bescherung

Konrads Bescherung

Eine Weihnachtsgeschichte für Kinder.

Das Lachen seiner Klassenkameraden dröhnt Konrad in den Ohren. Am liebsten würde er sie mit den Händen zuhalten, die Augen schließen, sich umdrehen und die Flucht ergreifen. Aber er bleibt in der Ecke des verschneiten Schulhofes stehen, heimlich die Fäuste in den Handschuhen geballt, den Mund zu einem hilflosen halben Lächeln verzogen. Vielleicht sollte er einfach mitlachen – worüber auch immer.

»Konrad glaubt tatsächlich noch ans Christkind«, japst Tom und wischt sich die Lachtränen aus den Augen. Marvin schnaubt: »So ein Baby.« Da versteht Konrad: Sie lachen ihn aus. Dabei hat er doch nur gefragt, was die anderen sich so zu Weihnachten wünschten. Vom Christkind – klar, von wem denn sonst? Letztes Jahr hat es ihm einen megacoolen CD-Player gebracht, auf dem er abends vorm Einschlafen so gerne Hörspiele laufen lässt. Und im Jahr davor eine tolle Ritterburg mit allem Drum und Dran. (mehr …)

Der Gockel und die Hühnerschar

Viszantlátásra

Eine Kurzgeschichte mit Biss.

Oma Henriette hatte darauf bestanden, dass sie mit dem Taxi zum Bahnhof fuhr. Die alte Dame hielt die U-Bahn nach wie vor für eine undurchsichtige und riskante Höllenmaschine – obwohl sie selbst in Budapest aufgewachsen war und die dortige Untergrundbahn eine der ältesten weltweit ist. „Hamburg ist nicht Budapest“, pflegte Oma Henriette auf Katjas Einwände zu antworten. Beziehungsweise lautet so die Übersetzung ihrer Antwort: Auch nach 50 Lebensjahren in Deutschland bestand Henriette P. darauf, mit allen Familienangehörigen in ihrer Muttersprache zu sprechen. Und da ihr sonst nichts anderes übriggeblieben war, hatte Katja schon als Kind Ungarisch gelernt. (mehr …)